Stadtwerke-Boss Peter Weinelt muss 474.000 Wiener Gasthermen loswerden. Nur wie? (2024)

Peter Weinelt überblickt von seinem Büro im 25. Stock ganz Wien. Er sieht, was in den nächsten Jahren auf ihn zukommt. Der Mann leitet die Wiener Stadtwerke und hat die schwierige Aufgabe, Wien klimafreundlich umzubauen. Dem Falter will er erklären, wie das gelingen soll. Zuvor müssen wir aber über die Wien Energie reden. Denn sowohl der Stadtrechnungshof als auch der Bundesrechnungshof kritisierten zuletzt das Risikomanagement des Unternehmens. Nach dem Gespräch veröffentlichte das Momentum Institut eine Berechnung, wonach der städtische Versorger seine Gewinne im Vorjahr um 183 Prozent steigern konnte. Weinelts Büro verwies auf eine Stellungnahme der Wien Energie: Man habe als Antwort auf die Gewinne die Kundenpreise gesenkt.

Herr Weinelt, Sie sind seit Jänner Generaldirektor der Stadtwerke. Im Aufsichtsrat der Wien Energie sitzen Sie seit 2016 –und diesem stellt der Stadtrechnungshof dem Aufsichtsrat für seine Rolle bei der Finanzkrise der Wien Energie ein vernichtendes Zeugnis aus. Inzwischen sitzen Sie dem Aufsichtsrat sogar vor. Nach dieser Krise hat man Sie auch noch befördert?

Peter Weinelt: Wir haben das Thema Wien Energie sehr gründlich untersucht. Nachdem wir die Verwerfungen an den Märkten mit den horrenden Börsenpreisen vom Sommer 2022 aufgerollt haben, hat sich klar gezeigt, dass die Wien Energie nicht spekuliert hat. Vor dem Hintergrund der massiven Verwerfungen am Energiemarkt wurde festgestellt, dass es kein Fehlverhalten gab.

Das haben Sie intern festgestellt.

Weinelt: Das haben externe Beratern festgestellt. Die steigenden Preise im Sommer 2022 waren ein einmaliges Ereignis. Und wir haben das sehr gut gemeistert. Wir haben zwei Millionen Kunden versorgt. Und 70.000 aufgefangen, die von anderen Energieversorgern gekündigt wurden. Wir haben die Versorgungssicherheit aufrechterhalten. Es ist leicht, im Nachhinein Kritik zu üben. Aber damals haben sich die Ereignisse überschlagen. Wir haben uns nach Vorbild anderer europäischer Länder für einen bundesweiten Schutzschirm eingesetzt. Gleichzeitig haben wir das Liquiditätsrisikomanagement an die neuen Gegebenheiten angepasst und neu aufgestellt.

Der Rechnungshof kritisiert das Risikomanagement der Wien Energie sehr wohl. Sie hätten früher vom Börsenhandel abgehen und so das Liquiditätsrisiko reduzieren können.

Weinelt: Was wäre die Konsequenz gewesen, wenn wir vom Börsenhandel abgegangen wären? Wir hätten auf den OTC-Handel (Over the Counter, Anm.) umsteigen können. Bildlich gesprochen funktioniert das so: Sie verkaufen Gas und ich kaufe es Ihnen ab. Wir hätten keine Sicherheitsleistungen hinterlegen müssen. Aber das Ausfallrisiko wäre sehr viel höher. Wenn einer von uns beiden nicht mehr liquide ist, dann ist der Deal gestorben. Das heißt, der eine bekommt entweder kein Geld oder der andere bekommt kein Gas. Und zu dieser Zeit war kaum jemand liquide. Der Gaspreis hatte sich verfünfzehnfacht und der OTC-Markt war tot. Am Börsenmarkt war noch Gas kaufbar, auch wenn wir es zu hohen Preisen absichern mussten. Hätten wir den Börsenhandel beendet, hätten wir die Marginzahlungen glattstellen müssen und Verluste eingefahren. Es hätte keine andere Möglichkeit gegeben, das Gas physikalisch irgendwo anders herzubekommen und den Preis zu sichern. Ganz grundsätzlich: Wir greifen die Analyse und die Empfehlungen des Rechnungshofs selbstverständlich auf und haben diese auch schon weitgehend umgesetzt.

Die Wien Energie hat ihre Strategie im September umgestellt und den Börsenhandel reduziert. Warum ging das dann plötzlich doch?

Weinelt: Das war auch im September noch nicht möglich, weil die Börsengeschäfte erst abreifen mussten. Am OTC-Markt war das Ausfallrisiko zu groß.

Dieses Risiko hat sich im Herbst geändert?

Weinelt: Ja. Und zwar weil der Strompreis wieder zurückgegangen ist. Man hat die gleiche Menge für die Hälfte des Geldes bekommen. Dadurch war der OTC-Markt wieder geöffnet.

Sie sind der Einzige im Aufsichtsrat der Wien Energie mit Expertise zum Energiemarkt. Müsste man den Aufsichtsrat nicht anders zusammensetzen?

Weinelt: Diese Kritik kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, das Gremium ist durch die Bank mit Expertinnen und Experten besetzt. Im Übrigen ist es Sache des Eigentümers, den Aufsichtsrat zu besetzen.

Der Stadtrechnungshof vermutet, dass die Nähe zur Stadt Wien bei der Wahl der Aufsichtsräte eine größere Rolle spielt als ihre Expertise.

Weinelt: In den Stadtwerken arbeiten Expertinnen und Experten. Bei anderen Energieversorgern ist der Landeshauptmann Vorsitzender. Wir haben niemanden aus der Politik in den Unternehmen sitzen.

Reden wir übers Klima: In Wien gibt es derzeit 474.000 Gasthermen und Gaskochgeräte. Das ist knapp die Hälfte aller Haushalte. Wie viele Thermen rüsten sie jedes Jahr ab?

Weinelt: Wir hatten im Jahr 2023 10.000 Zählpunkte weniger. Das heißt, im Vergleich zu 2022 gibt es 10.000 Gasanschlüsse weniger.

Bis 2040 soll die Energieversorgung in Wien klimaneutral sein. Das heißt, kein Haushalt soll mehr mit Gas heizen. Wie soll das gehen? Die Fernwärme wird nicht alle erreichen.

Weinelt: Die Stadt Wien hat einen Wärmeplan, der allen Kunden zeigt, wo in absehbarer Zeit Fernwärme hinkommt und wo nicht. Wir haben das Ziel, im Endausbau 56 Prozent aller Wiener Haushalte an das Fernwärmenetz anzuschließen. In dieser Zahl sind auch das prognostizierte Bevölkerungswachstum und Stadterweiterungsgebiete wie Rothneusiedl inkludiert.

Derzeit speist sich die Fernwärme auch noch zur Hälfte aus Gas.

Weinelt: Wir haben einen konkreten Plan, wie wir da rauskommen. Das Wichtigste ist und bleibt die Müllverbrennung. Die macht etwa ein Viertel aus. Das zweite Viertel kommt aus Großwärmepumpen, wie wir sie in Simmering haben. Und aus Abwärme. Beim Rechenzentrum verwenden wir beispielsweise die Abwärme der Server, um das Krankenhaus Nord zu heizen. Das dritte Viertel kommt dann aus der Tiefengeothermie.

Und das vierte Viertel?

Weinelt: Wasserstoff soll das Erdgas in der Gasturbine ersetzen. Die Gasturbine erzeugt weiterhin mit derselben Technologie grünes Gas, grünen Strom und grüne Wärme. Wir konnten bereits einen erfolgreichen Versuch durchführen. Derzeit mischen wir den Gasturbinen 15 Prozent Wasserstoff bei. Wir versuchen gerade den Anteil auf 30 bis 50 Prozent zu steigern. Bis 2040 werden wir ein Kraftwerk umbauen, das zu 100 Prozent Strom und Wärme aus grünem Wasserstoff erzeugt.

Wo und wann wird das Wasserstoff-Kraftwerk umgebaut?

Weinelt: Mit aller Wahrscheinlichkeit wird das der Standort Simmering sein. Denn wir müssen die bestehende Infrastruktur nutzen. Wir werden die Gasleitungen auf Wasserstoff umrüsten – wir schauen gerade, dass sie wasserstoff-dicht sind. Das ist technisch nicht so trivial, Wasserstoff ist bekanntlich das kleinste Element im Periodensystem. Das Kraftwerk muss bis zum Jahr 2040 voll zur Verfügung stehen. In Deutschland ist eine Übergangsfrist geplant, wo nach ein paar Jahren 50 Prozent Erdgas und 50 Prozent Wasserstoff verwendet werden. Wir müssen das noch offen lassen. Die Frage ist: Woher bekommen wir genügend grünen Wasserstoff für die Gasturbinen? Wir brauchen dreimal so viel Wasserstoff wie Erdgas, um dieselbe Leistung zu erzielen.

Forscher gehen allerdings davon aus, dass Wasserstoff knapp sein wird.

Weinelt: Jeder neue Energieträger ist knapp. Das ist normal. Das erste Wasserkraftwerk, das gebaut wurde, war eine Mühle, die man umgerüstet hat. Wir haben derzeit eine Drei-Megawatt-Wasserstoff-Anlage. Die ist natürlich noch zu klein, um ein Kraftwerk zu betreiben. Aber wir investieren und viele Betriebe ziehen nach.

Noch einmal zum Fernwärmenetz: Derzeit läuft der Ausbau in vier Gebieten. Bis 2026 wollen Sie 200 Haushalte an die Fernwärme anschließen. Bis 2040 müssen es 56 Prozent sein. Jetzt sind es um die 40 Prozent. Warum geht das nicht schneller?

Weinelt: Die vier Gebiete sind aus unterschiedlichen Notwendigkeiten entstanden. Erklären wir es anhand der Gumpendorfer Straße: Jedes Jahr steigt die Zahl der Hitzetage. Die Straße braucht Abkühlung und Bäume brauchen Platz. Wir entfernen dGasrohre, schaffen Platz und legen Fernwärmeleitungen. Dann kommen noch Radwege und die Schieneninfrastruktur dazu. Das muss entsprechend akkordiert werden. In den Pioniergebieten setzen wir diesen Plan jetzt um. Und den Endausbau schaffen wir dann bis 2040.

Wenn sich der Hauseigentümer weigert, die Gastherme aufzugeben, können Sie nichts machen.

Weinelt: Ein Verbot hätte auf Bundesebene beschlossen werden müssen. Das wurde auch diskutiert. Das Erneuerbare-Wärmegesetz legt nun ein Verbot von Gasthermen in Neubauten ab 2024 fest. In Wien haben wir dieses Verbot schon lange.

Naja. In Wien gilt das Verbot von Gasthermen im Neubau seit dem Vorjahr. Die Stadt Wien verspricht bis 2040 klimaneutral zu sein. Sie müssen dieses Versprechen umsetzen. Was sollen die Haushalte machen, die nicht zu den 56-Prozent mit Fernwärmeanschluss gehören? Die müssen sich um individuelle Lösungen kümmern?

Weinelt: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Die Wärmepumpe ist ein Klassiker. Über 50Prozent der Gebäude in Wien sind Ein- und Zweifamilienhäuser. Mit einer entsprechenden Sanierung ist dort die Wärmepumpe sicher eine gute Wahl. Wir bieten auch entsprechende Beratung an. Dann gibt es noch sogenannte Nahwärmenetze, die mehrere Gebäude mit Wärme versorgen.

Das Erneuerbares-Gasgesetz kommt nun auch nicht. Es hätte Energieversorger – auch die Wien Energie – verpflichtet, auf Biogas umzusteigen. Die SPÖ hat dagegen gestimmt. Fällt ihnen die Partei in den Rücken?

Weinelt: Wir bekennen uns zu grünen Gasen. Aber das Quotenmodell ist ein falscher Ansatz. Wenn Energieversorger die Biogas-Quoten nicht erfüllt hätten, wären Strafzahlungen fällig geworden. Mir ist unverständlich, warum man nicht das Modell aus der erneuerbaren Stromerzeugung angewandt hat. Der Bund will gewisse Mengen an Biogas haben und könnte diese dann einfach am Markt ausschreiben. So entsteht Wettbewerb.

Peter Weinelt, 58, ist Generaldirektor der Wiener Stadtwerke. Der studierte Energietechniker verantwortet über 16.000 Mitarbeiter und 15 kommunale Unternehmen, darunter die Wien Energie, die Wiener Netze, die Wiener Linien und die Friedhöfe

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